Mittwoch, 28. Oktober 2015

Kann Südtirol zum Modell für Europa werden?

 

 (Die Presse)
   

Eine heftige Debatte ist in Südtirol zuletzt über die Frage entbrannt, ob Südtirolern das Anrecht auf die österreichische Staatsbürgerschaft gewährt werden sollte. Obwohl das Thema in Österreich bisher kaum größere mediale Beachtung findet, spaltet es inzwischen auch die österreichische Innenpolitik.
Einige hegen große Sympathien für Südtirol und betrachten die Staatsbürgerschaft für Südtiroler als einen machbaren Weg, um das „Unrecht“ der Teilung Tirols nach dem Ersten Weltkrieg wieder teilweise zu beseitigen. Andere sehen darin eine „revisionistische“ Aktion, die die Südtiroler Bevölkerung spalten und das bilaterale Verhältnis mit Italien gefährden könnte. Stattdessen fordern zum Beispiel die Grünen eine Stärkung der Unionsbürgerschaft.
Auch wenn für manche mehr Europa zutiefst wünschenswert wäre, fehlen zurzeit sowohl der Wille als auch die politischen Strukturen, um den stagnierenden Integrationsprozess entscheidend weiterzuführen. Die aktuelle Finanz- und Flüchtlingskrise sowie die Wahlerfolge nationalistischer Parteien lassen eher das Gegenteil befürchten.

Rückkehr der Nationalstaaten

Kurz- bis mittelfristig müssen wir daher leider mit einer Stärkung der Nationalstaaten in Europa und möglicherweise sogar mit einer Zentralisierung der Macht in Staaten wie Italien rechnen. Zudem vergibt Italien, wie viele andere Länder Europas, bereits seit Jahrzehnten die Staatsbürgerschaft an ihre Minderheiten in den Nachbarländern. Daher spricht vieles dafür, Südtirolern auch die Option auf die österreichische Staatsbürgerschaft zu gewähren.
Diese wird ja niemandem aufgezwungen, sondern ermöglicht es jenen Südtirolern, die das wollen, am politischen Prozess in Österreich mitzuwirken und mit einem Pass durch die Welt zu reisen, der ihre Identität besser widerspiegelt.
Die politische Linke in Österreich, die einer solchen Regelung für die Südtiroler bisher eher ablehnend gegenübersteht, sollte sie aber vielleicht auch als Chance für eine längst überfällige Reform des österreichischen Staatsbürgerschaftsrechts erkennen. Vor allem könnte das nicht mehr zeitgemäße Prinzip der Vermeidung von Mehrfachstaatsbürgerschaften endlich fallen.
Die gegenwärtige Debatte um die österreichische Staatsbürgerschaft für Südtiroler ist nur ein Puzzlestein einer neu entflammten Diskussion über die Selbstbestimmung in Südtirol. Die Südtiroler Bevölkerung ist zu diesem Thema allerdings so vielschichtig gespalten wie nie zuvor.
Einerseits entwickelte sich durch die Autonomie sowie die nunmehr fast 100-jährige Trennung vom Rest Tirols und Österreichs eine starke Südtiroler Eigenidentität. Die Zahl jener, die einen unabhängigen Südtiroler Staat fordern, ist selbst innerhalb der italienischsprachigen Bevölkerung in den vergangenen Jahren rasant angestiegen.
In den Großstädten wiederum haben sich viele deutschsprachige Südtiroler mit ihrer „italienischen Umwelt“ arrangiert und sehen sich heute zunehmend als deutschsprachige Italiener. Im ländlichen Südtirol ist der Wunsch nach einer Rückkehr zu Österreich hingegen immer noch sehr groß.
Daher kann man in Südtirol heute nicht mehr nur von einem ethnisch geteilten, sondern verstärkt auch von einem geografisch und gesellschaftlich gespaltenen Land sprechen. Das spürt vor allem auch die einst übermächtige Südtiroler Volkspartei, die lange Zeit das einzige Sprachrohr aller deutsch- und ladinischsprachigen Südtiroler war. Heute laufen ihr die Wähler in den Städten zu den Grünen sowie auf dem Land zur Südtiroler Freiheit und den Freiheitlichen davon. Gleichzeitig gewinnt sie innerhalb der italienischsprachigen Bevölkerung etwas an Beliebtheit.

Bewahrung der Vielfalt

Die Politik in Italien, Österreich und in Südtirol sollte diese veränderten gesellschaftlichen Verhältnisse und Bedürfnisse zur Kenntnis nehmen und entsprechend reagieren. Einerseits muss jede zukünftige Lösung für Südtirol seine sprachliche Vielfalt bewahren und möglichst allen Menschen im Land eine Identität gewähren. Andererseits darf der Wunsch vieler nach mehr Selbstbestimmung nicht weiter ignoriert werden.
Die oft geforderte Volksabstimmung über die künftige staatliche Zugehörigkeit des ganzen Landes wäre demokratiepolitisch fragwürdig. Es wäre, zum Beispiel, zutiefst undemokratisch, wenn sich eine Gemeinde im Vinschgau zu 90 Prozent für Österreich entscheidet, aber bei Italien verbleiben müsste, weil die Mehrheit im bevölkerungsreicheren Südtiroler Unterland anders entschieden hat. Das Gleiche trifft natürlich auch umgekehrt zu.
Stattdessen sollte die Frage der Selbstbestimmung nach dem Schweizer Modell eher auf kommunaler Ebene erfolgen. Das entspricht auch dem Prinzip der Subsidiarität, das in den Verfassungen Österreichs und Italiens sowie im Vertrag von Lissabon verankert ist. Die mögliche Insellage einiger Gemeinden wäre aufgrund der offenen Grenzen nach den Schengen- und Dublin-Bestimmungen ohnehin kein Problem mehr.

Eine Lösung ohne Verlierer

Ein womöglich noch besserer Lösungsansatz für Südtirol, der auch Vorbildwirkung für andere vergleichbare Regionen Europas hätte, wäre eine gemeinsame Verwaltung des Landes durch Italien und Österreich. Kein Land eignet sich besser für so ein Modell als Südtirol. Um eine solche gemeinsame Verwaltung zu verwirklichen, müsste die bereits bestehende Autonomie des Landes nochmals entscheidend ausgebaut werden.
Der Vorteil dieser Lösung wäre, dass es keine Verlierer gäbe. Es stünde jeder Südtirolerin und jedem Südtiroler frei, sich zu einem oder beiden Staaten zu bekennen. Damit könnte die Frage der Selbstbestimmung weitestgehend von der kollektiven auf die individuelle Ebene verlagert werden. Ein solcher Lösungsansatz wäre zudem in Italien leichter durchzusetzen als eine vollständige oder teilweise Abspaltung Südtirols.
Die Zwei-Staaten-Administration Südtirols könnte Vorbildwirkung für vergleichbare zwei- oder mehrsprachige Regionen in anderen Teilen Europas haben. Aus Konfliktgebieten könnten völkerverbindende Brückenregionen werden, in denen Pluralität gelebt wird und jeder Einzelne seine Identität selbst definieren kann.

Neue Impulse für Europa

Das wäre ein großer Schritt in Richtung Völkerverständigung sowie mehr Demokratie und Selbstbestimmung in Europa. Und all das ist wiederum Grundvoraussetzung für die erfolgreiche Weiterführung des europäischen Integrationsprozesses.
In 2018 und 2019 jähren sich zum hundertsten Mal jene Begebenheiten, die zur Teilung Tirols und Mitteleuropas führten. Vielleicht sollten wir dieses traurige Jubiläum dazu nutzen, Südtirol und Europa neue Impulse zu geben. Dem Jahrhundert nationalstaatlicher Willkür könnte nun das Jahrhundert der selbstbestimmten Menschen folgen.
E-Mails an: debatte@diepresse.com

DER AUTOR




Peter Jósika
(*1971 in Wien) ist ein in der Schweiz lebender österreichischer Historiker, Politikwissenschaftler und Befürworter eines dezentralisierten Europa der Regionen nach Schweizer Vorbild. Er ist Autor des Buches „Ein Europa der Regionen. Was die Schweiz kann, kann auch Europa“ (IL-Verlag). Er kann über die Website europaderregionen.com kontaktiert werden. [ Privat ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.10.2015)

Dienstag, 28. Juli 2015

Europas Krise ist eine Chance für seine Zukunft

© Peter Jósika

François Hollande forderte am 14 Juli im Rahmen einer Fernsehansprache zum französischen Nationalfeiertag ein gemeinsames Parlament für die Eurozone. Er sprach damit erstmals öffentlich aus, was vielen schon lange klar ist: Eine gemeinsame Währung erfordert gemeinsame politische Strukturen.

Seit dem Zweiten Weltkrieg verfolgen pro-europäische Kräfte das Ziel, möglichst alle Staaten des Kontinents schrittweise in eine gemeinsame Union zu integrieren. Wie weit diese Integration gehen soll wurde allerdings nie klar definiert. Einige strebten einen europäischen Bundesstaat an, andere nicht viel mehr als einen gemeinsamen Wirtschaftsraum. So wurschtelte sich die EU durch die letzten Jahrzehnte. Seit der Einführung des Euros und der Gründung des Schengenraumes herrscht in puncto Integration nun Stillstand.

Europa am Wendepunkt

Die Schuldenkrise im Euroraum führte zur grössten Zerreißprobe seit der Gründung der EU, gleichzeitig aber auch zu einem Erwachen in Teilen der europäischen Politik. Plötzlich besteht einerseits der Wille und die Bereitschaft Europas politische Institutionen zu reformieren, andererseits eine gewisse Akzeptanz, dass die politischen Strukturen an die unterschiedlichen regionalen Bedürfnisse angepasst werden müssen. Es gibt eben Teile Europas, die mehr Integration suchen und brauchen sowie andere, die aus verschiedensten Gründen weniger wollen oder nur beschränkt an ihr teilnehmen können. Daran gibt es nichts zu rütteln.

Ein bedürfnisgerechtes Europa

Das viel diskutierte Europa mehrerer Geschwindigkeiten muss also endlich her. Irgendwie besteht es ja ohnehin schon. Doch Schengen und EWR müssen von der EU entkoppelt werden, um einerseits effektiver zu funktionieren und andererseits eine tiefere Integration der Eurozone zu ermöglichen. Ausserdem muss Europa demokratisiert werden. Einfach nur eine weitere politische Ebene zu schaffen, die irgendwo zwischen Nationalstaat und EU-Parlament angesiedelt ist, brächte, ausser Kosten, nur sehr wenig.

Das EU-Parlament ist in seiner aktuellen Form nicht viel mehr als ein Gesprächsforum mit beschränkten Regulierungsbefugnissen. Es verfügt über wenige Kompetenzen, weil sich die vielen Mitgliedsstaaten bisher nicht auf den Aufbau einer demokratisch legitimierten und politisch relevanten EU einigen konnten.

Nun besteht die einzigartige Chance eine neue verkleinerte EU mit einem politisch relevanten gemeinsamen Parlament zu schaffen. Eine EU, die aus jenen Staaten besteht, die zur europäischen Integration stehen und sich definitiv für die Einführung des Euros und den Beitritt zum Schengen Raum entschieden haben. Allen anderen Staaten stünde stattdessen die Mitgliedschaft im EWR und Schengenraum frei, die, nach ihrer Entkoppelung von der EU, eigenständig agieren könnten.  

Subsidiarität als Basis einer neuen EU

Neben der Übernahme fiskalpolitischer Aufgaben, sollte das neue EU-Parlament durchaus auch weitere Kompetenzen von supranationaler Relevanz erhalten. Dazu zählen insbesondere außen-, einwanderungs- und asylpolitische Fragen. Auch der Schutz von Minderheiten gehört auf die EU-Ebene.

Eine solche vertiefte Integration in Kerneuropa setzt natürlich voraus, dass die nationalen Parlamente die Zeichen der Zeit erkennen und endlich jene Kompetenzen abgeben, die auf anderen politischen Ebenen besser aufgehoben sind.

Ein teilweiser Machttransfer von den Nationalstaaten an die EU ist allerdings nur die halbe Miete. Um Europa demokratischer und selbstbestimmter zu machen, müssen vor allem auch Regionen und Gemeinden gestärkt werden. Das betrifft insbesondere, aber nicht ausschliesslich, Zentralstaaten, wie zum Beispiel Frankreich. Europa kann nur auf Basis umfassender subsidiärer Strukturen funktionieren, die von der Gemeinde bis zur EU gleichermassen gelten.

Peter Jósika ist ein in der Schweiz lebender österreichischer Autor, Manager, Historiker und Politikwissenschaftler. Mehr Information finden Sie auf seiner Webseite www.europaderregionen.com

Samstag, 27. Juni 2015

Viel Lärm um wenig Neues: Wie weiter bei den Sudetendeutschen?

© Peter Josika
Am 28.2.2015 beschloss die Bundesversammlung der Sudetendeutschen Landsmannschaft in München eine neue Grundsatzerklärung sowie einige Satzungsänderungen. Am folgenden Tag berichteten die Medien von einer angeblichen radikalen Neuausrichtung. Schnell machten Schlagzeilen vom "Verzicht auf Restitution und Wiedergewinnung der Heimat" die Runde.
Viele Sudetendeutsche reagierten empört auf diese Medienberichte. Sie fühlten sich von der Bundesversammlung hintergangen. Einige Mitglieder fechten die Beschlüsse nun auch rechtlich an. Politiker in Deutschland und Tschechien äusserten sich wiederum grossteils positiv und sprachen von einem Neuanfang, einige sogar ganz überschwänglich.
In der Tat wurden ein paar Paragrafen gestrichen, in denen bislang die "Wiedergewinnung der Heimat" und eine "Restitution oder gleichwertige Entschädigung" gefordert wurden. Bei genauer Betrachtung wird allerdings eines schnell klar: Die Massenmedien haben aus einer Mücke einen Elefanten gemacht, denn in der Satzung wird immer noch ein gerechter Ausgleich bei Völkerrechtsverstössen, u.a. Vertreibungen und Enteignungen, verlangt. In der Grundsatzerklärung der Landsmannschaft steht ausserdem folgender ganz eindeutiger Passus.
Die  Sudetendeutsche  Landsmannschaft  arbeitet  darauf  hin,  dass  die  Tschechische  Republik  die in  den  Jahren  1945/1946  vom  Präsidenten,  der  Regierung  oder  dem  Parlament  der  damaligen Tschechoslowakei  erlassenen  und  fortwirkenden  Dekrete,  Gesetze  und  Verordnungen,  die Unrechtstatbestände  –  kollektive  Entrechtung,  Enteignung,  Zwangsarbeit,  Vertreibung  und Ermordung  –  anordneten  bzw.  legalisierten,  außer  Kraft  setzt.  Dazu  fordert  sie  direkte  Gespräche zwischen  den  Repräsentanten  des  tschechischen  Volkes  und  Vertretern  der  Sudetendeutschen Volksgruppe  mit  dem  Ziel,  Lösungen  zu  finden,  denen  beide  Seiten  in  freier  Willensentscheidung zustimmen können.
Von einem Verzicht auf Heimat und Restitution kann also keine Rede sein. Die vom Bundesvorstand beschlossenen Änderungen scheinen vielmehr ein Versuch zu sein, den Zielen der Landsmannschaft eine zeitgemässere Note zu geben. Man sucht das offene Gespräch mit der tschechischen Politik. Die Wortwahl ist globaler, politisch korrekter und moderner. Auch das Thema NS Mitverantwortung und eine entsprechende Aufarbeitung der NS-Vergangenheit wurden nun mit eingebaut.
Die neue Grundsatzerklärung und die überarbeiteten Statuten sind freilich auch ein Ausdruck veränderter Prioritäten. War kurz nach Kriegsende noch die Rückkehr in die kürzlich verlorene Heimat der alles überragende Wunsch der Erlebnisgeneration, geht es den Kindern, Enkeln und Urenkeln nun eher um ein Kennenlernen der ehemaligen Heimat, die Erhaltung der Identität und des Kulturgutes sowie eine beidseitige Aufarbeitung der Geschichte.
Unabhängig vom Ausgang der rechtlichen Anfechtung der Statutenänderungen stellt sich daher heute die wichtige Frage: Welche konkreten Ziele sollten die Sudetendeutschen nun mittel- und langfristig anstreben? Vor allem auch: Was ist 70 Jahre nach der Vertreibung überhaupt noch möglich?
Sicherlich darf Unrecht nicht stillschweigend zu Recht gemacht werden. Die Verbrechen der Nazis dürfen nicht dazu dienen, das an den Sudetendeutschen begangene Unrecht zu relativieren. Die Idee der Kollektivschuld muss weiterhin klar und deutlich zurückgewiesen werden. Individuen können für NS-Verbrechen bestraft werden. Eine ganze Volksgruppe aber nicht!
Auch wenn sich bei vielen Tschechen in den letzten Jahren ein nicht unwesentlicher Wandel in den Ansichten zu diesem Thema vollzogen hat, fokussiert die aktuelle Aufarbeitung in Tschechien fast ausschliesslich auf die Gewalttaten unmittelbar vor und nach Kriegsende. 
Diesbezüglich kann allerdings nicht oft genug darauf hingewiesen werden, dass nicht nur die wilden Verteibungen, Misshandlungen und Massaker am Kriegsende, sondern auch die "geordnete" kollektive Enteignung und Vertreibung im Rahmen der Beneš Dekrete und des Potsdamer Abkommens ein Verbrechen darstellen. Ja, sie erfüllen nach der Meinung vieler Völkerrechtler auch den Tatbestand eines Genozids. Die Verharmlosung dieser Tatsache durch Medien und Politiker darf nicht ignoriert werden. 
Auch wenn die kritische Auseinandersetzung mit den Nachkriegsvertreibungen in Tschechien zunimmt, bleibt die formelle Aufhebung der Beneš Dekrete  weiterhin ein nur sehr schwer erreichbares Ziel. Denkbar wäre vielleicht ein grossteils von der Bundesrepublik Deutschland finanziertes multilaterales Kompensationspaket für Enteignung und Zwangsarbeit, sowie, im Gegenzug, eine Anerkennung des deutschen Kulturerbes in Tschechien.
Eine solche teilweise Wiederanerkennung des Deutschen als zweite Amtssprache würde es den Vertriebenen und ihren Nachfahren ermöglichen in die alte Heimat zurückzukehren und ihre Identität dort als deutschsprachige Bürger zu leben. Auch wenn wohl nur wenige von dieser Möglichkeit Gebrauch machen würden, wäre es ein Zeichen gegenüber den Opfern und ein wichtiger Schritt in Richtung Wiederanerkennung der zweisprachigen Wurzeln Böhmens und Mährens.
Auf EU-Ebene könnte sich die Landsmannschaft vor allem für mehr Subsidiarität und eine Dezentralisierung innerhalb der bestehenden Nationalstaaten im Sinne eines zukünftigen Europas der Regionen stark machen. Mit den Gemeinden und Regionen Tschechiens ist das Gesprächsklima traditionell unkomplizierter und weniger verkrampft als mit den Verantwortlichen des Zentralstaates. 
Seit einigen Jahren wird in Brüssel auch über eine EU-weite Regelung zum Schutz autochthoner Minderheiten nachgedacht. Diesbezüglich habe ich vor einigen Jahren einen Vorschlag für ein europaweites Gesetz zum Schutz des Spracherbes vorbereitet, das den Minderheitenschutz auch auf jene Gebiete ausdehnen würde, die durch Völkermord, Assimilierung und/oder Vertreibung in der Neuzeit sprachlich verändert wurden. Es wäre im Sinne der Sudentendeutschen und der verbliebenen deutschen Minderheit wenn eine solche Lösung umgesetzt werden könnte.
Grundsätzlich stellt sich auch die Frage, ob die historisch belastete Bezeichnung "Sudetendeutsche" noch im Interesse der Vertriebenen und ihrer Nachfahren ist. Die deutsche Minderheit in Tschechien verwendet die weniger kontroverse und historisch korrektere Bezeichnung "Deutsche aus Böhmen, Mähren und Schlesien".
Im Sinne eines zusammenwachsenden Europas und einer Aufwertung der regionalen Identitäten, die ja auch Deutsche und Tschechen verbindet, sollte vielleicht auch ein gemeinsamer institutioneller Auftritt der Verbliebenen und Vertriebenen überlegt werden. Damit würden beide Gruppen auch dazu beitragen nicht mehr zeitgemässe nationalstaatliche Denkmuster abzubauen und das verbindende "Europäische" und "Regionale" über das trennende "ethnisch-Nationale" zu setzen.
Ein solcher gemeinsamer Verband der ehemaligen und verbliebenen Deutschen könnte vor allem auch mehr Präsenz zeigen. Während die Slowaken, Polen und Ungarn Tschechiens über prominent platzierte Kulturzentren in der Prager Altstadt verfügen, ist die historisch grösste Volksgruppe Böhmens für Prager und Besucher zurzeit völlig unsichtbar. Das sollte sich schleunigst ändern.  Mehr Präsenz wäre natürlich nicht nur in Prag gefragt, sondern auch in anderen Städten mit teilweise deutscher  Vergangenheit, wie Brünn, Olmütz, Reichenberg, Böhmisch Krumau, Karlsbad etc. Wer sich aus Angst vor Kritik versteckt, verschwindet natürlich auch schneller aus der Geschichte.
Peter Jósika ist Autor, Historiker und Politikwissenschaftler. Er kann über dir Webseite www.europaderregionen.com kontaktiert werden.

Donnerstag, 7. Mai 2015

Europe: No democracy without self determination

© Peter Jósika

European society is changing dramatically. Most of our ancestors were born into predetermined social and economic structures and had little scope to alter their lives considerably. Europeans today have substantially more control over their destiny. The underlying concept behind this development is the principle of self determination. 

Personal self determination includes the freedom to choose our educational and professional path, the people we associate with, the language we prefer to speak, the place we want to live in, but also our religious, sexual or political orientation. All these freedoms are recognised as fundamental rights in Western societies, although they were restricted in the past and remain contested in some parts of the world today.

An important part of personal self determination is the concept of collective self determination. We all belong to a variety of collectives, be it a nation, a region, a commune, a religious group, a family or the company we work for. While in the past most collectives were governed by predefined hierarchies, often based on class, gender, age or race, there is growing pressure to increase democratic participation. This is to ensure that all members of a collective have a voice and can attain at least a certain degree of self fulfillment within the collective.

This trend has also reached public life and politics. Half a century ago democracy meant little more than the right to vote for a political party that represented ones social class or a general political view. The modern notion of democracy is substantially more participatory. People want to be directly involved in the decision making process. They expect for politicians to maintain constant two way contact with their constituencies and for important matters to be put directly to the people.

To a limited extend politics has adapted to the need for more grass root democracy by strengthening direct democracy and community involvement in certain areas of the decision making process. However, our overall political structures remain stuck in the early 1900s. They are marked by Europe's ongoing division into ethnic nation states with centralist political systems that are far removed from the people and the needs of an increasingly individualised and multicultural society longing for more self determination. The calls for secession or more autonomy in many regions across Europe are only the tip of the iceberg, but they highlight how out of step the nation states are with the needs of our time.

Therefore, it is not only the often critizised EU that needs to be reformed, but much rather the centralist nation states themselves. While many parts of Europe would benefit from a leaner but also stronger EU in certain fields, it is equally important that we strengthen communes and regions as they are not only closer to the people, but also much closer to most issues that affect them.

Competencies across all levels of government should generally be divided on the basis of the principle of subsidiarity as already defined in the Treaty of Lisbon. In other words: We need to bring the decision making process to the people by giving local and regional government substantially more power. This should translate into more grass root democracy, less nationalism as well as a more flexible and need-based approach in economic and fiscal matters. 

In turn this will enable for Europe as a whole to become stronger and more effective, and for Europe's regions and communes to become more responsible, self sufficient and competetive. Such a EU-wide decentralization process is not only long overdue, but of critical importance to Europe's future.

Peter Jósika is a Swiss based author. He can be reached via his website www.europaderregionen.com. 

Freitag, 17. April 2015

Es gibt eine Lösung im Ukrainekonflikt

© Peter Jósika

Mit dem Waffenstillstand zwischen den pro-russischen Rebellen und der ukrainischen Regierung vor einigen Wochen ist es um die Ostukraine stiller geworden. Auch wenn die Waffen nun grossteils verstummt sind, ist der Konflikt keineswegs überwunden. Während die Ukraine mit westlicher Unterstützung verbissen auf die Unantastbarkeit ihrer "territorialen Integrität" pocht, betreibt Russland eine nationalistische Grossmachtpolitik, die an jene des Zarenreiches und der Sowjetunion erinnert. Leittragende sind vor allem die betroffenen Menschen, deren Leben zerstört wird, weil sie ins Kreuzfeuer nationalen Grossmachtstrebens geraten

Es bahnt sich eine Situation an, wie sie in Europa schon wiederholt aufgetreten ist. Ein militärischer Konflikt zwischen zwei Nationalstaaten endet in einem Patt und wird mit einem Waffenstillstandsabkommen ohne politische Lösung ad acta gelegt. 

Die Folgen sind neue undurchlässige Grenzen sowie eine Politik der Russifizierung auf der einen Seite und der Ukrainisierung auf der anderen Seite. Es werden einmal mehr Menschen und Wirtschaftsräume auseinandergerissen sowie gewachsene gesellschaftliche und wirtschaftliche Strukturen zerstört. 

Doch dieser Weg der Teilung und Trennung ist nicht nur zutiefst falsch, sondern vor allem auch nicht ohne Alternative. Es gibt nämlich neben einem "entweder-oder" immer auch ein "sowohl-als-auch". Langfristiger Frieden und Wohlstand setzen politische Strukturen voraus welche die Interessen aller Bevölkerungsgruppen miteinbeziehen. Das erfordert eine Lösung, die bestehende gesellschaftliche und wirtschaftliche Verbindungen zwischen den betroffenen Regionen und der Ukraine einerseits, und Russland andererseits, weitestgehend erhält. Der Weg aus der Krise kann zudem nur auf demokratischer Basis erfolgen. Das bedeutet, dass Selbstbestimmung und Subsidiarität das Fundament jeder Friedenslösung sein muss. 

Die Unabhängigkeit der Regionen Donezk und Luhansk darf daher nicht weiter zu einem Tabuthema gemacht werden. Im Gegenzug sollten allerdings beide Gebiete ihre militärische Neutralität garantieren und durch bilaterale Verträge eng mit dem ukrainischen und russischen Wirtschaftsraum verbunden werden. Grenzen müssten also beidseitig durchlässig bleiben. Die neuen Staaten könnten so zu Bindegliedern zwischen Russland und der Ukraine werden und dadurch, zum Beispiel als zollfreie Gebiete, sogar von ihrer geografischen Lage profitieren.

Die Gleichstellung der ukrainischen Sprache sowie möglichst dezentralisierte politische Strukturen, die den unterschiedlichen lokalen Bedürfnissen Rechnung tragen, wären weitere Grundvoraussetzungen um diese Regionen in eine kontrollierte Unabhängigkeit zu entlassen. 

Gleichzeitig sollte der Westen darauf pochen, dass eine solche Lösung auf die von Russland annektierte Krim ausgeweitet wird. Auch die Krim ist eine historisch mehrsprachige Region, die nur als unabhängiger Staat allen ethnischen Gruppen eine Identität gewähren kann. Die völkerrechtswidrige Annexion durch Russland sollte daher im Rahmen jeder Friedenslösung rückgängig gemacht werden.

Ein solcher auf Demokratie, Selbstbestimmung und Subsidiarität basierender gemeinsamer Neuanfang wäre nicht nur im Interesse aller Beteiligten, sondern auch ein Schritt in Richtung jenes Europas der Bürger und Regionen von dem heute alle gerne sprechen, aber für das so wenig konkretes unternommen wird.

Peter Jósika ist Autor, Historiker und Politikwissenschaftler. Er kann über die Webseite www.europaderregionen.com kontaktiert werden.

Montag, 13. April 2015

Die Vision eines Europas der Regionen aus mitteleuropäischer Perspektive

© Peter Jósika & Bécsi Napló

Deutsche Version meines Artikels aus der Aprilausgabe des Bécsi Napló

Fast 100 Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkrieges sind die Länder Mitteleuropas immer noch stark miteinander verflochten. Neben Wirtschaft, Architektur und Kunst verbindet sie vor allem eines: eine gemeinsame Kultur. Trotzdem überwiegen im Alltagsleben sowie in den zwischenstaatlichen Beziehungen weiterhin Misstrauen, Vorurteile und Resentiments.

Auch wenn die Epoche der österreichisch-ungarischen Monarchie in keinem Nachfolgestaat mehr demonisiert wird, besteht weiterhin das gängige Vorurteil, dass mit dem Ende des Ersten Weltkrieges das "künstlich geschaffene Habsburgerreich" durch eine Reihe von Revolutionen in seine "legitimen Einzelteile" zerfiel.

Wer sich mit der Geschichte und der Gegenwart Mitteleuropas näher befasst, kommt allerdings schnell zu einem anderen Schluss. In Wahrheit kann vielmehr von der künstlichen Aufteilung eines von Mehrsprachigkeit gekennzeichneten wirtschaflich und gesellschaftlich eng miteinander verbundenen Gebietes gesprochen werden. Nationalsozialismus, Stalinismus, Kommunismus, Massenmorde, Enteignungen, Vertreibungen und die Zerstörung gewachsener gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Strukturen müssen als unmittlebare tragische Folge der Zerstückelung Mitteleuropas nach den Ersten Weltkrieg verstanden werden. Fast 100 Jahre später lecken wir immer noch unsere Wunden.

Der Untergang der Donaumonarchie war weder unwiderruflich vorprogramiert noch entsprach er dem damaligen Volkswillen. Kein einziger Nachfolgestaat entstand demokratisch durch eine Volksabstimmung. Die Vorgänge im Jahre 1918 wurden vielmehr durch eine von nationalistischen Ideen beeinflusste politische Elite gesteuert. Und es waren auch nicht nur tschechische, südslawische, polnische und italienische Nationalisten, die den Untergang des gemeinsamen Staates vorantrieben, sondern durchaus auch deutschnationale und ungarische Gruppierungen.

Ein paar vergessene Stimmen warnten schon vor 1918 vor den Gefahren einer ethnisch-nationalen Zersplitterung Mitteleuropas. So sprach sich der liberale Politiker Adolf Fischbach bereits 1869 für die Umwandlung Österreich-Ungarns in eine Eidgenossenschaft nach Schweizer Vorbild aus. Auch im Spätsommer und Herbst 1918, als der Untergang der Donaumonarchie bereits vor der Tür stand, unternahmen einige Intellektuelle noch einen letzten Versuch an diese Idee anzuknüpfen. Leider ohne Erfolg.

Den Grundstein für die Teilung Mitteleuropas legte kurioserweise der in Ungarn bis heute gefeierte Ausgleich des Jahres 1867. Durch diesen wurde zwar einerseits eine schmerzhafte Phase des absolutistischen habsburgischen Zentralismus überwunden, andererseits allerdings das Fundament für ein Mitteleuropa gelegt, in dem sich die Sprachgruppen verstärkt "national" definierten. 

Die Enstehung eines semi-unabhängigen ungarischen Nationalstaates innerhalb einer multi-ethnischen Monarchie wurde also zu einer de facto Vorgabe für eine zukünftige ethnisch-nationale Gliederung des ganzen Landes. Dementsprechend entstand in Österreich-Ungarn ab 1867 auch eine betont ethnisch-national orientierte Parteienlandschaft.

Ganz anders entwickelte sich die Politik in der Schweiz, einem Land, das, was die ethnische und konfessionelle Vielfalt betrifft, durchaus mit der österreichisch-ungarischen Monarchie vergleichbar war. Der kleingliedrige helvetische Regionalföderalismus verhinderte allerdings die Entstehung ethnisch-national orientierter politischer Kräfte. Stattdessen bildeten sich politische Parteien, die regionale und gesamtstaatliche Ziele verfolgten und damit die Belange aller Sprachgebiete gleichermaßen vertraten.

Diese politischen Strukturen verhinderten grobe Konflikte zwischen den Sprachgruppen und Konfessionen. Ausserdem ermöglichte die ausgeprägte Steuer- und Finanzautonomie der Gemeinden und Kantone eine bedürfnisgerechte lokale und regionale Wirtschaftspolitik, die den Handel ankurbelte und die industrielle Entwicklung förderte. Davon profitiert die Schweiz noch bis heute.

Ganz anders sieht es in Ländern wie Polen, Tschechien, Ungarn, der Slowakei, Rumänien, Kroatien, Serbien oder der Ukraine aus. Die Menschen in diesen Staaten leiden an den verkrusteten trennenden zentralisch nationalstaatlichen Strukturen, die eine Vielzahl historisch zusammengehörender Gebiete auseinandergerissen haben. Diese Strukturen verhindern regionale Selbstbestimmung, überregionale Zusammenarbeit sowie eine standortgerechte Wirtschaftspolitik.

Die Antwort auf die Probleme, die wir heute in Europa haben, ist daher keineswegs der Rückschritt zu weniger Europa und mehr Nationalstaat, wie es einige Populisten fordern. Stattdessen sollten wir den Weg zu einem Europa nach Schweizer Vorbild ebnen, das auf regionale, föderalistische und basisdemokratische Werte setzt.

Wir können unsere trennenden ethnisch-nationalen Strukturen langfristig nur durch die Stärkung lokaler und regionaler Gebietseinheiten überwinden. Das Europa von Morgen muß durch viel mehr Gemeinde- und Regionalautonomie, viel weniger Nationalstaat und einer schlanken aber relevanten Europäischen Union gekennzeichnet sein.

Die Basis für ein solches Europa der Regionen besteht eigenlich bereits. Das Prinzip der Subsidiarität wurde im Vertrag von Lissabon EU-weit festgelegt. Es besagt, dass Entscheidungen immer auf der unterstmöglichen und unterstsinnvollen politischen Ebene gefasst werden sollten. Umgesetzt wurde dieses Konzept aber bisher nur im Verhältnis zwischen der EU und den Nationalstaaten. Es obliegt also nun den Nationalstaaten, und der EU als Vertragspartner des Lissaboner Abkommens, Subsidiarität auch auf nationalstaatlicher Ebene vollumfänglich durchzusetzen.

Eine solche europäische Föderalismusreform ist der Schlüssel für den schrittweisen Übergang zu einem demokratisch legitimierten Europa der Bürger. Nur so kann sich Europa seiner wachstumshemmenden zentralistischen Strukturen entledigen und die Endlosschleife wiederkehrender nationaler Konflikte stoppen. Nur so wird es zudem gelingen ein wahrlich vereintes Europa aufzubauen, das wie die heutige Schweiz von unten nach oben zu einer Willensgemeinschaft aller Ethnien und Religionen zusammemwächst.

Peter Jósika ist ein in der Schweiz lebender österreichischer Autor, Historiker und Politikwissenschaftler. Sein Buch "Ein Europa der Regionen- Was die Schweiz kann, kann auch Europa" (IL-Verlag, Basel, 2014) ist im Handel sowie über den Verlag (http://www.il-verlag.com/autoren/jósika-peter/ein-europa-der-regionen/) erhältlich. Der Autor kann über die Webseite www.europaderregionen.com kontaktiert werden.

Közép-európai szempontból elképzelt Régiók Európája

© Peter Jósika & Bécsi Napló

Közel 100 évvel az első világháború vége után Közép-Európa országai egymással még mindig erősen összefonódottak. A gazdaság, az építészet és a művészet mellett még egy dolog köti őket össze: a közös kultúra. Ezeket továbbra is felülmúlják a mindennapi életben, az államok közötti kapcsolatokban a bizalmatlanság, előítéletek és neheztelések.

Bár az Osztrák-Magyar Monarchia korszakát már egyik utódállamban sem kezelik ördögi korszakként, továbbra is létezik az az elterjedt előítélet, miszerint az Első világháború végével a „mesterségesen létrehozott Habsburg Birodalom” forradalmak sorozatával esett szét „alkotó elemeire”.

Ezzel eltérő következtetésre jut, aki Közép-Európa múltjával és jelenével foglalkozik. Valójában többnyelvűséggel megáldott, gazdaságilag és szociálisan szorosan összefonódó terület mesterséges felosztásról van szó. Nemzetiszocializmus, sztálinizmus, kommunizmus, tömeggyilkosságok, kisajátítások, kiutasítások és a kifejlődött társadalmi és gazdasági formák, sokkal inkább tekinthetők Közép-Európa Első világháborút követő feldarabolása tragikus következményeinek. Közel 100 évvel később még mindig nyalogatjuk sebeinket.

A Duna menti monarchia bukása nem volt visszavonhatatlanul előre programozott, nem felelt meg az akkori népakaratnak sem. Egyetlen utódállam sem jött létre demokratikus népszavazással. A műveleteket 1918-ban nacionalista eszmék befolyása alatt álló politikai elit irányította.  Nemcsak cseh, délszláv, lengyel és olasz nacionalisták segítették elő közös országuk bukását, hanem német nemzetiségű és magyar csoportok is.

Néhány elfelejtett hang már 1918 előtt óvott Közép-Európa etnikai-nacionalista szétforgácsolódásának veszélyétől. A liberális politikus Adolf Fischbach már 1869-ben javasolta Svájc példája alapján az Ausztria-Magyarország államszövetség létrehozását. Még 1918 nyárutóján és őszén is, amikor a Duna menti monarchia bukása már a küszöbön állt, megpróbált néhány értelmiségi erre az elképzelésre visszanyúlni. Sajnos sikertelenül.

Közép-Európa divíziójának alapkövét érdekes módon, az az 1867-es kiegyezés rakta le, melyet Magyarországon ma is ünnepelnek. Ez egyrészt lezárta az abszolutisztikus Habsburg-centralizmus fájdalmas szakaszát, másrészt lerakta Közép-Európa alapját azzal, hogy „nemzetiségeknek" tekintette a nyelvcsoportokat.

A félig független magyar nemzetállam megalakulása egy több etnikumú monarchiában az egész ország jövőbeni nép-nemzeti felosztásának mintája lett. Ennek megfelelően 1867-től Ausztria-Magyarország területén kifejezetten etno-nacionalista beállítottságú politikai pártok jöttek létre.

Egészen másként alakult a politika Svájcban. Abban az országban, amely etnikai és felekezeti sokrétűségét tekintve hasonlított az Osztrák-Magyar Monarchiához. Az erősen tagolt helvét regionális föderalizmus fékezte a nép-nemzeti irányultságú politikai erőket. Ehelyett olyan politikai pártok alakultak, melyek területi és országos célokat követtek és minden nyelvterület igényeit egyenlő mértékben képviselték.

A politikai szerkezetek megakadályozták a nyelvcsoportok és felekezetek közötti jelentősebb konfliktusokat. Azonkívül a települések és kantonok kifejezett adó- és pénzügyi-autonómiája lehetővé tette, hogy a szükségleteknek megfelelő helyi és regionális iparpolitika felgyorsítsa a kereskedelmet és segítse az ipar fejlődését. Svájc ebből még ma is profitál.

Egészen más a helyzet Lengyelországban, Csehországban, Magyarországon, Szlovákiában, Romániában, Horvátországban, vagy Ukrajnában. Ezekben az országokban az emberek szenvednek az elválasztó, bekeményedett, központosított nemzetállami szerkezetek miatt, melyek szétszakítanak számos történelmileg összetartozó területet. Ezek a szerkezetek gátolják a területi önállóságot, a területeket átfogó együttműködést éppúgy, mint a megfelelő helyi gazdaságpolitikát.  

A reakció a mai Európában levő problémákra semmiképp sem a néhány népszerű politikus által követelt hátrálás a kevesebb Európa, de több nemzetállam felé. Ehelyett egyengetnünk kellene az utat a svájci példán alapuló Európa irányába, amely regionális, föderalista és elemi demokratikus értékeken alapul.   

A minket elválasztó nép-nemzeti szerkezeteket csak a helyi és regionális területi egységek erősítésével tudjuk hosszútávon leküzdeni. Jóval több közösségi- és regionális-autonómia, lényegesen kevesebb nemzetállam és egy karcsú, de hatékony Európai Unió kell jellemezze a holnap Európáját.

Egy ilyen régiók Európájának már létezik az alapja. A szubszidiaritás alapelvét a lisszaboni szerződésben az egész EU-ra vonatkozóan meghatározták. Ez kimondja, hogy határozatok hozatala mindig a lehető legalacsonyabb és legjelentősebb politikai szinten történjen. Ez a koncepció eddig csak az EU és a nemzetállamok viszonyában került alkalmazásra. Ez kötelezi tehát a nemzetállamokat és az EU-t, mint a Lisszaboni Szerződés szerződő feleit a szubszidiaritás nemzetállami szinten maradéktalan végrehajtására.

Ilyen föderalizmus reform a polgárok törvényes demokratikus Európájához vezető fokozott átmenetnek a kulcsa. Csak így tudja Európa a fejlődését gátló, központosított szerkezetét levetkőzni és a végtelenségig visszatérő nemzeti konfliktusokat megállítani. Csak így képzelhető el egy valóban egyesült Európa felépítése, akár a jelenlegi Svájc, ahol alulról felfelé forr össze akarategységévé minden etnikum és vallás.  

Jósika Peter

A szerző Bécsben született, Svájcban élő történész és poititológus. Ein Europa der Regionen – Was die Schweiz kann, kann auch Europa” című könyve (IL-Verlag, Basel, 2014) a könyvesboltokban és a kiadónál kapható. http://www.il-verlag.com/autoren/jósika-peter/ein-europa-der-regionen/)

 A szerzővel a kapcsolat felvehető: www.europaderregionen.com      

Donnerstag, 12. März 2015

Was Europa von der Schweiz lernen kann ( Buchpräsentation an der Leipziger Buchmesse)

© Peter Jósika

Die Schweiz als Vorbild? Das ist nichts Neues. Schon Friedrich Dürrenmatt schrieb: "Die Welt wird entweder untergehen oder verschweizern". Der Gründer der Paneuropa-Bewegung, Richard Graf Coudenhove-Kalergi, wollte ganz Europa schlicht und einfach die Schweizer Verfassung verpassen. Heute rührt unter anderem Joschka Fischer die Werbetrommel für die Idee eines Vereinten Europas nach Schweizer Vorbild. 

Obwohl die drei genannten Persönlichkeiten sehr unterschiedlichen politische Lagern zuzuordnen sind, verbindet sie eine wichtige Erkenntnis:  Wir müssen unser Zusammenleben in Europa auf eine ganz neue  Grundlage stellen, wenn wir Frieden und Wohlstand langfristig erhalten wollen. 

Über die Vor- und Nachteile einiger Elemente der direkten Demokratie helvetischer Prägung scheiden sich natürlich die Geister. Kann man der Bevölkerung zutrauen bei komplexen Fragen alle Zusammenhänge zu verstehen und qualifizierte Entscheidungen zu treffen? Einige Kritiker fühlten sich nach den jüngsten  Abstimmungsergebnissen zu heiklen politischen Themen in ihrem Unmut über zu viel direkte Demokratie bestätigt. 

Viele populistische Gruppierungen nutzten die Abstimmungen wiederum zu Propagandazwecken aus. Sie stellen die Schweiz nun gerne als Vorreiter eines Europas starker unabhängiger Nationalstaaten sowie als natürlichen Feind der europäischen Integration dar. 

Doch das ist eine komplette Fehldarstellung der Realität. Bei näherer Betrachtung steht die Schweiz nämlich genau für das Gegenteil. Sie ist ein gut funktionierendes Europa im Miniformat, in dem grobe Konflikte zwischen Sprachgruppen und Konfessionen, wie sie in anderen Teilen Europas immer wieder auftreten, durch betont föderalistische und direktdemokratische politische Strukturen erfolgreich verhindert werden. 

Das Problem Europas ist nicht die EU per se. Es sind vielmehr die verkrusteten nationalstaatlichen Strukturen, die in grossen Teilen Europas vorherrschen.  Der institutionelle Nationalstaat mit seinem Zentralismus ist die Wurzel des Nationalismus, aber auch des Demokratiedefizits und vieler wirtschaftlicher Probleme mit denen Europa heute zu kämpfen hat. Er verhindert nicht nur den europäischen Einigungsprozess und eine standortgerechte Wirtschaftspolitik, sondern stürzt Teile unseres Kontinents immer wieder in schwere Krisen. 

Der tragische Krieg um die ostukrainischen Regionen Kharkiv, Donezk und Luhansk ist das jüngste Beispiel. Auch der radikale Islamismus, der ganz Europa heute in Atem hält und Teile des Nahen Ostens in eine apokalyptische Tragödie gestürzt hat, ist in vielerlei Hinsicht das Produkt europäisch-nationalstaatlicher Politik und seiner Nachwirkungen. 

Die Antwort auf die Probleme, die wir heute in Europa haben, ist daher keineswegs der Rückschritt zu weniger Europa und mehr Nationalstaat, wie es einige Populisten fordern. Stattdessen sollten wir den Weg zu einem Europa nach Schweizer Vorbild ebnen, das auf regionale, föderalistische und basisdemokratische Werte setzt. 

Wir können unsere trennenden ethnisch-nationalen Strukturen langfristig nur durch die Stärkung lokaler und regionaler Gebietseinheiten überwinden. Das Europa von Morgen muß durch viel mehr Gemeinde- und Regionalautonomie, viel weniger Nationalstaat und einer schlanken aber relevanten Europäischen Union gekennzeichnet sein. 

Die Basis für ein solches Europa der Regionen besteht eigenlich bereits. Das Prinzip der Subsidiarität wurde im Vertrag von Lissabon EU-weit festgelegt. Es besagt, dass Entscheidungen immer auf der unterstmöglichen bzw unterstsinnvollen politischen Ebene gefasst werden sollten. Umgesetzt wurde dieses Konzept aber bisher nur im Verhältnis zwischen der EU und den Nationalstaaten. Es obliegt also nun den Nationalstaaten, und der EU als Vertragspartner des Lissaboner Abkommens, Subsidiarität auch auf nationalstaatlicher Ebene vollumfänglich durchzusetzen. 

Eine solche europäische Föderalismusreform ist der Schlüssel für den schrittweisen Übergang zu einem demokratisch legitimierten Europa der Bürger. Nur so kann sich Europa seiner wachstumshemmenden zentralistischen Strukturen entledigen und die Endlosschleife wiederkehrender nationaler Konflikte stoppen. Nur so wird es zudem gelingen ein wahrlich vereintes Europa aufzubauen, das wie die heutige Schweiz von unten nach oben zu einer Willensgemeinschaft aller Sprachgruppen, Ethnien und Religionen zusammemwächst.

Peter Jósika ist ein in der Schweiz lebender österreichischer Autor, Historiker und Politikwissenschaftler. Sein Buch "Ein Europa der Regionen- Was die Schweiz kann, kann auch Europa" (IL-Verlag, Basel, 2014) wird am 14. März im Rahmen der Leipziger Buchmesse präsentiert. Das Buch ist im Handel sowie über den Verlag (http://www.il-verlag.com/autoren/jósika-peter/ein-europa-der-regionen/) erhältlich. Der Autor kann über die Webseite www.europaderregionen.com kontaktiert werden.

Donnerstag, 5. März 2015

Gebietsreformen sind kein Allheilmittel

© Peter Josika (Föderalismusblog)

http://www.foederalismus.at/blog/gebietsreformen-sind-kein-allheilmittel_36.php

Gebietsfusionen sind gerade "en vogue". In ganz Europa ist in den nächsten Jahren mit einer Vielzahl von Gemeindezusammenlegungen zu rechnen. Auch auf Länderebene preschen einige immer wieder mit Fusionsideen vor. So dachte die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer kürzlich laut über eine Zusammenlegung mehrerer deutscher Bundesländer nach. Aus den heute sechzehn Bundesländern könnten, so Kramp-Karrenbauer, dann konkret sechs bis acht "Großländer" entstehen.

Kramp-Karrenbauer schielt wohl, was ihre Fusionsideen betrifft, mit einem Auge auf das benachbarte Frankreich. Dort setzte Präsident Hollande kürzlich eine gigantische "Réforme Territoriale" durch. So wurden unter anderem die Regionen Elsass, Lothringen und Champagne per Pariser Dekret zu einer neuen Großregion zusammengelegt. Trotz großer Proteste und mehrmaliger Abstimmungsniederlagen im Senat hielt Hollande eisern an seinen Plänen fest. Regionale Volksabstimmungen lehnte er ab.

Jene, die Gebietszusammenlegungen fordern, verfolgen meist zweierlei Ziele. Einerseits wollen sie Kosten senken und finanzielle Altlasten tilgen. Andererseits versuchen sie die politischen Mehrheitsverhältnisse in ihrem Sinne zu optimieren, oder gar, wie insbesondere der Fall in Frankreich, unliebsame regionale Abspaltungs- und Autonomiebewegungen aus dem Weg räumen.

Zuerst stellt sich die Frage, ob solche Fusionen wirklich die versprochenen Einsparungen bringen? Eine Studie der Universität Zürich behandelte konkret vier Gemeindefusionen im Kanton Solothurn. Sie kommt zum Schluss, dass Fusionen vor allem die Abkoppelung der Bürokratie von den politisch Verantwortlichen verstärkt. Statt der erwarteten Skalenerträge durch die Zusammenlegung administrativer Dienstleistungen, verselbständigt sich vielmehr die Bürokratie. Das wiederum erschwert das budgetäre Controlling. Zusammenfassend kann also gesagt werden, dass der Übergang von "Klein" auf "Groß" die Verwaltung unübersichtlicher und weniger kontrollierbar macht, was eher zu erhöhten Kosten führt.

Neben der Frage der Wirtschaftlichkeit stellt sich die mindestens genau so wichtige Frage der wirtschafts- und demokratiepolitischen Folgen.

Erstens setzt eine funktionierende, auf Konsens aufgebaute Demokratie voraus, dass sich die Bevölkerung mit ihren Institutionen identifizieren kann. Mehrheitsverhältnisse durch von oben aufoktroyierte Zusammenlegungen auf den Kopf zu stellen, oder gar Selbstbestimmungs- und Autonomiebestrebungen zu unterdrücken, ist daher zutiefst kontraproduktiv. Zweitens muss eine moderne politische Institution bürger- und wirtschaftsnah agieren, um flexibel und bedürfnisgerecht auf die sehr unterschiedlichen regionalen Anforderungen eingehen zu können. Das ist in überdimensionierten Gebietseinheiten oft nicht ausreichend möglich.

Es besteht daher die Gefahr, dass kurzfristige fusionsbedingte administrative Einsparungen wieder schnell durch einen zentralistischen, wachstumshemmenden Einheitsbrei aufgefressen werden. Das oft gebrauchte Argument, dass nur große politische Einheiten überlebensfähig seien, wird ja durch die kleingliedrigen Kantone der Schweiz eindrucksvoll widerlegt.

Interessant ist diesbezüglich auch, dass die Studie der Uni Zürich nebenbei noch zum Schluss kommt, dass der in der Schweiz praktizierte Steuer- und Dienstleistungswettbewerb zwischen Gemeinden einerseits und Kantonen andererseits diese vielfach kosteneffektiver macht. Daraus kann man schließen, dass die fehlende kommunale und regionale Steuerautonomie in der Mehrheit anderer europäischer Staaten negative Auswirkungen auf die Effizienz der dortigen Verwaltungen hat. Verfügten das Saarland und das Elsass, zum Beispiel, über Steuerautonomie und mehr Kompetenzen, könnten sie also durchaus von ihrer Kleinheit profitieren.

Statt Großregionen am Reißbrett zu entwerfen, sollte die Politik in Europa daher viel eher über mehr direkte Demokratie und eine Stärkung regionaler und lokaler Kompetenzen nachdenken. In manchen Fällen ist eine Zusammenlegung von Gemeinden, Kreisen, Regionen oder Bundesländern vielleicht sinnvoll, in anderen Fällen wäre wiederum eine Aufteilung oder Abspaltung in kleinere Einheiten die effektivere Lösung. Solche Entscheidungen sollten allerdings prinzipiell weder in Berlin, Rom, Paris oder Wien, noch in den jeweiligen Landeshauptstädten fallen, sondern auf lokaler Ebene, einzig und allein durch die betroffene Bevölkerung getroffen werden.



Informationen zum Autor



Peter Jósika ist ein in der Schweiz lebender österreichischer Historiker, Politikwissenschaftler und Föderalismusexperte


peter.josika@euro-heritage.com

Mittwoch, 28. Januar 2015

Die haarsträubenden Thesen des Václav Klaus

 (Die Presse)

Mein Gastkommentar zu einem Interview des ehemaligen tschechischen Präsidenten in der Presse
 
http://diepresse.com/home/meinung/gastkommentar/4649702/index.do

Verbissen wettert der frühere tschechische Präsident gegen die zentralistische, antidemokratische EU. Typisch ist, dass er noch als aktiver Politiker von Föderalismus und mehr Demokratie im eigenen Land nichts wissen wollte.
   
Kaum bricht ein neues Jahr an, schon meldet sich der frühere tschechische Staatspräsident und Parade-EU-Kritiker, Václav Klaus, zu Wort. Im „Presse“-Interview (21. Jänner) kritisiert er zwar völlig zurecht die Demokratiedefizite und fehlende Wachstumsimpulse in Europa. Seine haarsträubenden, sich teilweise widersprechenden Lösungsansätze zu aktuellen politischen Themen müssen aber auf das Schärfste zurückgewiesen werden.
 

Das Beispiel Tschechoslowakei

Diese von Klaus und der Anti-EU-Lobby immer wieder hartnäckig wiederholte These ist nicht nur von Grund auf falsch, sondern sie ist auch zutiefst irreführend. Nur die wenigsten der heutigen europäischen Nationalstaaten sind demokratisch entstanden. Gerade die Tschechische Republik, deren nationale Souveränität Klaus immer wieder zäh verteidigt, ist ein Paradebeispiel verfehlter ethnisch-nationalstaatlicher Politik und ihrer politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen.
Als die Tschechoslowakei 1918 per Dekret und ohne Volksabstimmung entstand, fehlte den Staatsgründern genau jene Kompromissbereitschaft, die Klaus nun von der ukrainischen Regierung verlangt. Damals wurden mehrheitlich deutsch- und ungarischsprachige Gebiete gegen den Willen der Mehrheit der dort lebenden Bevölkerung in den neuen Staat hineingezwungen.
Die teilweise bis heute gültige Verfassung des Landes wurde ohne Teilnahme der gewählten deutschen und ungarischen Abgeordneten verabschiedet. Auch die vom damaligen Außenminister Edvard Beneš bei den Friedensverhandlungen von St. Germain versprochene „Tschechoslowakei nach Schweizer Vorbild“ wurde niemals umgesetzt.
Statt einer föderalistischen Willensgemeinschaft autonomer Regionen entstand ein betont zentralistischer ethnischer Nationalstaat, der mit Demokratie und Selbstbestimmung nichts zu tun hatte. Diese verfehlte Politik führte zu unnötigen Konflikten und zerstörte die jahrhundertealte friedliche Koexistenz zwischen den Sprachgruppen. Das nutzte Hitler 1938/39 für seine Zwecke aus – so wie das heute eiskalt auch Wladimir Putin in der Ostukraine macht.

Die EU als Spiegelbild

Die Folgen waren Nationalsozialismus, Massenmord, Massenvertreibungen, Kommunismus, die Zerstörung historisch gewachsener gesellschaftlicher Strukturen sowie wirtschaftliche Stagnation. Einst blühende Teile Mitteleuropas verkamen in wenigen Jahrzehnten zu entfremdeten Krisengebieten.
Mit dem Unheil einer verfehlten zentralistisch-nationalstaatlichen Politik – zuerst tschechoslowakischer, dann deutscher und schlussendlich wieder tschechoslowakischer Prägung – kämpft das Land noch bis heute.
Ja gewiss, die EU leidet an Demokratiedefizit und ist zudem überbürokratisiert. Sie entwickelte sich in den vergangenen Jahrzehnten in erster Linie zu einer fragwürdigen wirtschafts- und finanzpolitischen Regulierungsbehörde.
Die Institution der EU ist in ihrer aktuellen Form freilich eine Schöpfung der europäischen Nationalstaaten und damit ein Spiegelbild der nationalstaatlichen Ordnung Europas. Sie verfügt über wenig politischen Spielraum, weil die Nationalstaaten den Aufbau einer demokratisch legitimierten und politisch relevanten Union bisher erfolgreich verhindert haben.
Eines hat die EU aber den Nationalstaaten voraus. Sie ist definitiv demokratischer und mit mehr Konsens entstanden als die Mehrzahl der heutigen europäischen Nationalstaaten.
Es ist interessant, dass Václav Klaus einerseits von seinen vielen Identitäten – er sei Prager, Tscheche, Mitteleuropäer und Slawe – sowie seiner speziellen Beziehung zu Städten wie Wien, Krakau und Mailand schwärmt, andererseits aber das Konzept eines Europas der Regionen ablehnt. Er meint diesbezüglich, dass es kein europäisches Volk gäbe und ein demokratischer Staat die Existenz eines „Volkes“ voraussetze.

Im eigenen Land ein Zentralist

Warum aber gerade die Sprache – als eine von vielen Identitäten – ein Volk definieren soll, verschweigt der einstige Präsident. Da Europa schon seit jeher von Mehrsprachigkeit und einer Vielfalt an Identitäten geprägt ist, sind es doch gerade die ethnisch-nationalen politischen Strukturen, die Basisdemokratie, Selbstbestimmung und bedürfnisgerechte Wirtschaftspolitik verhindern.
Klaus behauptet weiter, es gehe ihm um Demokratie. Als aktiver Politiker hat er sich in der Tschechischen Republik aber immer wieder gegen eine Aufwertung der Kompetenzen der historischen Regionen, Kreise und Gemeinden gestemmt. Er kämpft also einerseits gegen das angeblich so zentralistische Europa, er will aber andererseits von mehr Föderalismus und Demokratie im eigenen Land nichts wissen.
Genauso verhalten sich auch die Vertreter populistisch-nationalistischer Gruppen anderer europäischer Staaten, wie die UK Independence Party in Großbritannien, die Alternative für Deutschland in der Bundesrepublik oder der Front National in Frankreich. Das entlarvt sie als Nationalisten, denen die Demokratie letztlich völlig gleichgültig ist.

Starke Gemeinden, Regionen

In Wahrheit ist es längst an der Zeit, das Zeitalter der Nationalstaaten schrittweise dorthin zu führen, wo es hingehört: auf die Müllhalde der Geschichte. Stattdessen braucht Europa basisdemokratischen Föderalismus, der die Gemeinden und Regionen mit jenen Kompetenzen ausstattet, die eine flexible, bürgernahe und standortrelevante Politik ermöglichen.
Starke Gemeinden und Regionen, frei von nationaler und zentralistischer Bevormundung, wären wiederum der Schlüssel zur Überwindung des Europa trennenden Nationalismus und zur Entstehung gesunder lokaler, regionaler und gesamteuropäischer Strukturen.
Diese könnten nicht nur eine bedürfnisgerechtere Wirtschaftspolitik betreiben, sondern auch die Vielfalt unserer europäischen Kulturen, Sprachen und Identitäten besser und effektiver schützen als die heutigen Nationalstaaten. Das sollte eigentlich auch einem Václav Klaus klar sein, wenn es ihm tatsächlich um Demokratie, Freiheit und Wohlstand in Europa ginge.
E-Mails an: debatte@diepresse.com

DER AUTOR




Peter Jósika
(*1961 in Wien) ist ein in der Schweiz lebender österreichischer Historiker, Politikwissenschaftler und Befürworter eines dezentralisierten Europas der Regionen nach Schweizer Vorbild. Er ist Autor des Buches „Ein Europa der Regionen. Was die Schweiz kann, kann auch Europa“ (IL-Verlag). Er kann über die Website europaderregionen.com kontaktiert werden. [ Privat ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.01.2015)